Alle Heilige(n)?

Immer wieder erstaunt es mich, wie voll doch die Kirche in meinem Heimatort zuverlässig jedes Jahr am Nachmittag des Allerheiligentages wird. Wer zu spät kommt, findet keinen Sitzplatz mehr und hat hoffentlich sein eigenes Gotteslob dabei, denn der Ständer für die Leih-Gesangbücher ist leer.

Es ist eine einfache Liturgie, die gefeiert wird: eine Andacht in der Kirche mit Gedanken über den Tod, in der für die Verstorbenen des letzten Jahres Kerzen angezündet werden; und dann der Friedhofsgang. Die Gottesdienstgemeinde wandert in ungeordneter Prozession zum Friedhof und fächert sich auf. Jeder stellt sich an das Grab seiner Angehörigen, um von dort aus den Rest der Liturgie mitzufeiern – manche mit Andacht, andere eher mit einer “Wann ist es endlich aus?” – Miene.

Nein, es sind sicher nicht alle Heilige, die da stehen und ihren verstorbenen Familienmitgliedern die letzte Ehre erweisen. Sicherlich tun es viele für die Oma, oder um dem Klatsch der Nachbarschaft zu entgehen. Und dennoch: Es ist beeindruckend, wenn der Friedhof auf diese Weise zum Leben erwacht. Wenn fast an jedem Grab Lebende stehen, und dadurch sichtbar wird: Die Toten, die da jahrein, jahraus in der Erde liegen, sie sind nicht vergessen. Sie sind immer noch Teil unserer Gemeinde, Teil einer großen Gemeinschaft, die über die Schwelle des Todes hinausreicht.

Entsprechend haben auch schon die frühen Christen die Gräber besucht und sogar mit den Toten Feste gefeiert, wie das heute noch in manchen Kulturen üblich ist. Sie waren überzeugt, dass der Tod sie nicht endgültig trennen kann, weil Jesus Christus durch seine Auferstehung den Tod überwunden hat. In diesem Sinn spricht denn auch Paulus seine Gemeinden als “Heilige” an: Nicht als perfekte, tolle Menschen, wie wir das Wort heute verstehen würden. Sondern als Menschen, die in die Gemeinschaft mit Christus gerufen sind – für immer.

Der Gang zum Friedhof macht sichtbar: Der Tod ist Teil unseres Lebens. Eines Tages werden wir unter der Erde liegen, und andere werden an unseren Gräbern stehen.

Aber auch dann werden wir noch dazugehören.

Vielleicht sogar mehr als heute.

“Stark wie der Tod ist die Liebe (…) Mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen, auch Ströme schwemmen sie nicht hinweg.” (Hohes Lied 8,6-7)

Einen guten Start in den November!
Eure/ Ihre Pastoralreferentin Barbara Göb

(Bildquelle: Pixabay)