Es fühlt sich merkwürdig an: Kar- und Ostertage ohne Liturgie, ohne gemeinsame Riten und Gesänge, ohne Weitergabe des Lichtes der Osterkerze in der Gemeinde. Ohne Osterlachen und Osterfrühstück, ohne Familienfeiern und Ausflüge. Das Osterfest in diesem Jahr ist sehr anders, als wir es gewohnt sind.

Es gibt viele Versuche, das, was gerade in unserem Land und überall auf der Welt passiert, zu begreifen, zu deuten und kreativ zu gestalten. Dabei tun sich allerorten Widersprüche auf: Die einen genießen die Entschleunigung ihres Lebens, die anderen beklagen eine massive Zunahme häuslicher Gewalt. Viele fühlen sich durch Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote sicherer, andere fürchten vor allem die Einsamkeit. Aktionen wie gemeinsames Kerzenanzünden, Musizieren auf Balkonen oder Klatschen für Corona-Heldinnen und -Helden sollen über die räumliche Distanz hinweg die Gemeinschaft stärken – die verwirrende Vielzahl und Uneinheitlichkeit solcher Aktionen zeigt aber auch, dass wir zwar Interessensgemeinschaften haben, aber längst keine übergreifende gesellschaftliche Verbundenheit mehr.

Alles ist anders. Alles ist in Frage gestellt. Auch in den Kirchen fragen wir uns: Was bleibt? Was ist wirklich wichtig? Wenn alles von heute auf morgen einfach abgesagt werden kann – was ist dann eigentlich noch relevant?

Eine Karfreitags-Frage.

In gewisser Weise sind diese Kar- und Ostertage „originaler“ als üblich. Wenn wir in die biblischen Texte schauen, dann erkennen wir vieles wieder: Die gerade noch fröhliche Stimmung des Palmsonntags und der Vorbereitungen auf das jährlich stattfindende Pessachfest schlägt um in die schockierende Erkenntnis, dass Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger in Todesgefahr schweben. Es wird kein Pessachfest werden wie sonst. Die Lage ist dafür zu ernst.

Das gemeinsame Mahl wird zur Abschiedsfeier. An die Stelle des sichtbaren Zusammenseins in der Gemeinschaft mit Jesus tritt nun die mystische Verbundenheit im geteilten Brot und im geteilten Wein – eine Präsenz, die dem erzwungenen „Social distancing“ trotzt.

Dann die Katastrophe: Kreuzigung. Endgültige Trennung. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Die Jüngerinnen und Jünger sind verstört, verzweifelt, ängstlich. Die Sicherheiten, auf die sie vetraut hatten, der Messias, den sie für mächtig hielten – all das hat nicht geholfen. Das Leben und der Tod sind im letzten unberechenbar. Was bleibt?

Die Corona-Krise wirft auch uns zurück auf diese Frage. Wir sind nicht Herr über Leben und Tod, wir können trotz allen medizinischen und technologischen Fortschritts nicht bestimmen, wann uns und unseren Liebsten die Stunde schlägt. Und wir müssen uns voneinander räumlich distanzieren, weil wir nicht einmal ausschließen können, dass wir die, die wir gern haben, mit einem tödlichen Virus infizieren.

Das macht Angst. Und hinter dieser Angst lauert die Frage: Was ist wirklich wichtig? Was beschäftigt mich nicht nur, sondern trägt mich im Innersten? Und: Bin ich wirklich wichtig? Welchen Wert hat ein Leben – hat mein Leben? Bin ich mehr als nur ein vergängliches Zufallsprodukt des Universums?

Die biblischen Ostererzählungen berichten uns von der Trauer und Hoffnungslosigkeit der Jüngerinnen und Jünger Jesu. Sie haben Angst, schließen sich ein. Niemand rechnet mit einer Auferstehung. Die Frauen gehen zum Grab, um die rituellen Salbungen zu vollziehen und so dem Verstorbenen einen letzten Dienst zu erweisen. Sie tun damit nichts Besonderes, sondern nur das, was sie für ihre moralische Pflicht halten. Sie sind vielleicht das, was wir manchmal „Helden des Alltags“ nennen, Menschen, die einfach tun, was gerade ansteht.

Dann geschieht das Unerwartete: Das Grab ist leer.

Gerade hatte man sich auf die traurige Situation eingelassen, da geschieht schon wieder etwas völlig Unvorhergesehenes: Jesus lebt! Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Hoffnung unter den Jüngerinnen und Jüngern. Begegnungen geschehen, mit denen niemand gerechnet hatte. ER ist da. Und immer wieder dieselbe Frage, dasselbe ungläubige Staunen: Ist ER es wirklich? Ist er aus Fleisch und Blut, oder ist doch nur alles Einbildung?

Langsam, Stück für Stück dringt es ins Bewusstsein: Das Leben hat gesiegt! Das Grab ist leer, die Macht des Todes ist gebrochen. Die Liebe und Hingabe Jesu war nicht umsonst, ganz im Gegenteil: Die Liebe ist stärker als der Tod – jetzt und für immer.

Ostern, das bedeutet zuallererst: Fürchtet Euch nicht! Was immer auch in diesem Leben passieren mag: die Liebe Gottes ist stärker. Sie ändert alles.

Wir wissen nicht, was morgen kommt. Nicht in unserem persönlichen Leben, nicht in unserer Kirche, nicht in unserer Welt. Die Zukunft liegt im Dunkel. Aber wir wissen eines: Unsere Zukunft ist SEINE Gegenwart. Wo immer uns die Reise auch hinführen mag, auf dunklen oder hellen Pfaden, freiwillig oder erzwungen: ER ist schon da.

Alles ist anders. Alles ist in Frage gestellt. Was bleibt?

Fürchte Dich nicht – lebe!